Wer weiß wofür es gut ist (Tag 24)
Das ist unser neues Mantra, egal was grad passiert.
Irgendetwas funktioniert nicht wie gedacht? Wer weiß wofür es gut ist.
Der Job ist doch nicht das, was er schien? Wer weiß wofür es gut ist.
Der Mietvertrag ist beschi***? Wer weiß wofür es gut ist.
Menschen tun Dinge, die man nicht versteht? Wer weiß wofür es gut ist.
Unser Leben besteht nur mehr aus Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Vielleicht irgendwann mal, vielleicht nie. Wer weiß wofür es gut ist.
Wir regen uns nur mehr pber Kleinigkeiten auf, wie einen Staubsauger, der zickt, ein Pulli, der nicht auffindbar ist, ein Computer, der mal abstürzt. Da können wir so richtig schön ausrasten.
Alles, was eigentlich „groß“ ist, lebensverändernd, tangiert uns wenig bis gar nicht. Wer weiß schon wofür es gut ist.
Ich habe heute frei und putze das Haus. Ich möchte uns einen Rückzugsort schaffen, eine Kuscheloase, wo „alles gut ist, wie es ist“. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Für das es sich lohnt aufzustehen und zu tun.
Lucy ist gerade „zimmerlos“, macht die Aufgaben in meinem Büro, schläft im Schlafzimmer und verteilt ihren Kram im ganzen Haus. Ihr Zimmer hat also oberste Priorität.
Dazu muss mein Büro geräumt werden, und um das zu räumen, muss Richis Büro soviel Platz bieten, dass ich dort einziehen kann. Die „Lebensinventur“ beginnt also.
Damit Lucys Kleidung endlich wieder eine „Heimat“ kriegt, räume ich Richis Kasten aus. Ich hab mir Boxen besorgt, die kommen in den Keller. Weggeworfen wird nichts, aber all diese gewohnten Gegenstände an ihrem Platz zu sehen macht es auch nicht leichter. Also hör ich auf zu denken und tu einfach. Viele der Sachen hat er ohnehin nie getragen, da hängen noch die Preisschilder dran. Das meiste ist nicht mal verschenkbar, hängt seit Jahren vergilbt im Schrank – Erinnerungen, Sammelstücke. Er hat Jacken und T-Shirts von Firmen gesammelt. Jedes Stück wird sorgfältig verpackt, ich trage alles in den Keller.
Ja, es ist furchtbar das zu tun, aber gleichzeitig macht es all das „wahrer“. Mein Verdrängungsmechanismus versagt langsam, weil sich der Alltag wieder einschleicht und mich mit hundert Kleinigkeiten an die Tatsache erinnert, dass mein Mann nicht mehr lebt. Also kann ich auch seine Kleidung wegräumen – er wird sie NIE mehr brauchen.
Am späten Vormittag besucht mich Kathi, wir reden. Über Richi, ein anderes Thema gibt es nicht für mich. Egal wovon ich erzähle – er taucht in jeder Geschichte auf. Ich mag es über ihn zu reden, da bin ich ihm nah.
Die Kinder kriegen zu Mittag endlich wieder warmes Essen, ich finde zu meiner Routine zurück. Obwohl ich für alle Arbeiten 4 Wochen Urlaub oder einen Lockdown brauchen würde – der Anfang ist gemacht und ich bin stolz auf mich.
Es ist Nachmittag, Lucy braucht neue Jeans und vielleicht ein Outfit für die Hochzeit nächste Woche. Wir fahren nach Pfaffstätten, finden aber nichts. Lucy meint, beim NewYorker würde sie bestimmt was finden. Ich überwinde meinen Schmerz, wir fahren in die SCS. Vorm Bürogebäude hängt immer noch die schwarze Fahne. Ich quäle mich durch die Geschäfte, schaue mich immer wieder um. Ist er vielleicht doch hier? Es ist die Hölle, aber Lucy hat sich ein bisschen Shoppingvergnügen verdient. Bei den Schuhen wird es kritisch, sie hat sich in ein Paar Nike um 180€ verliebt. Ich verweigere, am Ende meiner Kräfte. Nun weint sie, alles ist doof. Wir fahren heim, sind beide fertig.
Wieder einen Meilenstein geschafft, wir waren in der SCS.
Und nun: Kuschelzeit.