(Tag 45)
Ich bin froh, dass ich von Anfang an den Tag dazugeschrieben habe, denn ich wüsste ihn nicht mehr, ebenso wenig, wie viele Wochen vergangen sind. Ich weiß es einfach nicht mehr – und ohne hier nachzulesen ist alles ein einziger grauer Brei. Gleichzeitig gestern passiert und vor 450 Jahren.
Ja, ich bin froh um mein Schreiben, mein Dokumentieren der einzelnen Tage und Stimmungen. Es ist nicht nur ein „aus dem Kopf bringen, ehe er einfach platzt“ im aktuellen Moment, es ist auch Hilfe im Nachhinein um zu erkennen, was ich bisher geschafft habe.
45 Tage atmen.
45 Tage überleben.
45 Tage essen, schlafen, duschen.
45 Tage arbeiten.
45 Tage denken.
45 Tage weinen, lachen, trauern, freuen.
45 Tage verzweifeln, hinfallen, aufstehen, von vorne beginnen.
45 Tage Akzeptanz. 45 Tage Auflehnung.
45 Tage alleine.
45 Tage ohne dein Lachen, deine Stimme, deine Berührungen, deine Küsse, deine Augen.
45 Tage ohne dein Wissen, dein Können, deine Meinungen.
45 Tage Fragen, auf die es keine Antwort gibt.
45 Tage Liebe, die ins Leere läuft.
Aber auch:
45 Tage getragen werden.
45 Tage in denen ich den Wert meiner Familie erkannt habe.
45 Tage voller Hilfe und Unterstützung.
45 Tage voller Liebe.
45 Tage Richi so nah zu sein wie nie zuvor.
45 Tage die Erkenntnis wozu ich alles fähig bin, was ich alles kann.
Der Tag
Tag 3 des Motivationshochs. Ich hab frei, räume auf, fahr am Bauhof, schreibe Essensplan, fahre einkaufen, kehre den Womoparkplatz, erledige PC-Arbeiten… das klingt geschrieben gar nicht viel, für mich sind es Unmengen an durchgestrichenen Punkten. Ein abgetragener Berg. Ordnung auf vielen Ebenen.
Alltagskram erledigen, so wie früher. Einkaufen ohne Panikattacke, mit Liste und nach Plan. Gesundes kaufen, um nicht nur von Pizza zu leben. Müll entsorgen.
Aufräumen, Ordnung machen, auch im Kopf. Das Womo wieder an seinen Platz stellen, Ordnung draußen und drinnen. Wieder das Kommando übernehmen. Über mein Haus, meinen Garten, mein Leben. Solange es halt geht, bis zur nächsten Trauerphase, wo wieder alles egal ist. In Wellen, wie das Meer – eine nach der anderen. Nur nicht aufhören zu sein. Wie das Meer. Immer weiter, einmal ruhig und glatt, einmal wütend und aufgewühlt. Wie das Meer.
[Wenn ich hier auf der Erde fertig bin, verbrennt mich bitte, vermischt meine Asche mit Richis und dann kippt uns ins Meer. Für ewig in der Unendlichkeit vereint. Das wünsch ich mir.]
Ich bin zufrieden mit mir und stolz auf mich. Und ich lasse es heute nicht zu, dass sich Zweifel und niederdrückende Gedanken einschleichen. Nicht heute.
Mir ist durchaus bewusst, dass jetzt nicht „alles wieder gut ist“ und ich im NLOR (Neues Leben Ohne Richi) angekommen bin – denn eines gilt nach wie vor: es zählt nur HEUTE. Was morgen ist, weiß keiner. Aber dieses HEUTE darf ich durchaus genießen und stolz sein und etwas schaffen. Und wenn sich dieser Zustand auch über gestern und vorhestern zieht, darf ich umso stolzer sein.
Und wenn das ein kurzer Einblick ist, wie sich das Leben in 6 Monaten oder 2 Jahren oder 5 Jahren anfühlen könnte, dann ist das ein guter Einblick. Dann bin ich dankbar für diese „Vorschau“. Und wenn es nur eine Seifenblase ist, die morgen wieder platzt und ich ins Nichts zurückstürze, dann bin ich dankbar für die Stunden (fast) ohne Qual.
Besonders dankbar bin ich für die Botschaften von Richi, die ich seit Samhain über Songtexte erhalte – so traurig können sie gar nicht sein als das ich es nicht unendlich tröstlich finde, sie zu bekommen. Er hat Musik geliebt und er wusste, wie sehr ich Lieder mag, die einen tiefgründigen Text haben. Und so haben wir jetzt eine Möglichkeit der Kommunikation gefunden, die klappt. Ich bin sicher, dass sich die Texte mit der Zeit ändern werden. ❤️
(Heute war es: „And when I die I keep on living“ – ja, mein Schatz, du lebst weiter in mir und ich lebe weiter für dich – verbunden durch unsere Liebe.