Zu schön (Tag 40)

Morgengedanken

…zu gestern Abend…

Um es kurz zu machen: ja, die Tore sind weit offen, die Schleier gelüftet, man kann mit den Seelen auf der anderen Seite kommunizieren.

Richi war bei mir und wir haben einen wunderschönen Abend zusammen verbracht. Anfangs lief noch das Radio und so konnte er die Musik als Instrument nutzen um Botschaften und Zeichen zu senden.

Wir starteten mit „All I need is the air that I breath and to love you“. Danach hab ich abgedreht um Richi besser zu hören. Als ich das Gefühl hatte, das Date sei vorbei und das Radio wieder aufdrehte, hörte ich noch genau ein Lied:

So bist du von Claudia Jung

Ich kann den Abend ohnehin nicht adäquat beschreiben, also gehört die Erinnerung daran mir allein. Er war hier, spürbar, hörbar, sichtbar.

…zu heute Morgen…

Gitti schrieb mir über ihre Mama, die seit 32 Jahren Witwe ist und bestätigte mir damit, was ich längst wusste und herausgefunden hatte. Es geht niemals vorbei, das hier ist keine Prüfung, die man bestehen (oder dran scheitern) kann, keine Übung (der Ernstfall ist längst eingetreten) und keine Krankheit, von der man genesen kann.

Die Kirche erzählt (neben vielen anderen) einen gravierenden Fehler: …bis dass der Tod euch scheidet… DAS ist Blödsinn, der Tod verbindet auf ewig, der scheidet gar nix. Im Gegenteil – das Band kann nie wieder auf irdische Weise durchtrennt werden.

Ich finde das sehr tröstlich, es nimmt ein wenig diese Angst, dass Richi eines Tages „vergessen“ ist, ich die intensive Verbindung zu ihm verliere. UND – das ist vielleicht noch wichtiger – es gibt Hoffnung auf eine lebbare Zukunft, es gibt ein Ziel: die Trauer so in mein Leben integrieren, dass ich auch wieder mal Freude empfinden kann. Diesen riesigen Krater in meinem Dasein nicht überdecken, sondern drum herum neu anbauen und ihn in meine neue Lebenslandschaft einbinden.

Das braucht natürlich Zeit – eine Landschaft erschafft man nicht in wenigen Tagen. Und noch ist der Schmerz viel zu groß um länger als ein paar Augenblicke daran zu arbeiten, aber jede einzelne eingepflanzte Blumenzwiebel wird irgendwann erblühen. Manchmal braucht man Hilfskräfte (um große Bäume zu fällen und wegzuschaffen), manches kann man nur alleine machen. Manchmal braucht man wen, der neue Pflanzenarten bringt oder zum Gießen vorbeikommt, manchmal möchte man völlig alleine dasitzen und in seine Landschaft eintauchen.

Jeder lebt in seiner eigenen Landschaft, egal ob als Single oder mit Partner, dann wird gemeinsam diese Landschaft gepflegt und bearbeitet. Bei uns ist (wie in der Unendlichen Geschichte) ein riesiger Teil plötzlich im Nichts verschwunden. Nun liegt es an mir aus dem letzten verbliebenen Sandkorn eine neue Welt zu erschaffen, in der es sich zu leben lohnt. Rund um das immer in der Mitte bestehende Nichts, nicht stattdessen. Eine Welt, in der beides gleichzeitig existieren kann – Trauer und Freude, UNSER Leben und meines, Erinnerung und neue Erfahrung, Liebe und Einsamkeit, Aushalten und Auflehnen.

Das erste was ich hier pflanze, ist die Revidierung sämtlicher „Urteile“ über Geschichten und Bücher über den Tod eines geliebten Menschen – NIEMAND kann vorher auch nur im Geringsten einschätzen, wie er damit umgehen wird. Niemand, der das Unfassbare (noch) nicht erlebt hat, darf sich anmaßen über andere zu urteilen, weil sie zu wenig, zu viel, zu lang, zu abgehoben, zu primitiv trauern. Und wer mittendrin steht in seinem persönlichen Trümmerhaufen, darf das sowieso nicht. Es gibt hier keinen Wettbewerb, wer besser oder tiefer trauert. Es geht schlicht ums Überleben des Schmerzes – und da versucht jeder andere Strategien. Und jede ist richtig, auch wenn sie nicht für jeden richtig ist.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass sich dieser Prozess nicht beschleunigen lässt. „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ – ein Sinnspruch, der plötzlich eine viel tiefere Bedeutung hat. Meine Pflanzen, Blumen, Bäume, all das, was ich in diese verwüstete Landschaft setze, sind zu Beginn nur Samen. Nicht alle werden aufgehen, aber das kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Also setze ich, in der Hoffnung, eines Tages ein buntes Blumenmeer zu haben, alles was mir einfällt und richtig erscheint.

Der Tag

Unfassbar

…diesmal im positiven Sinn. Heute war ein riesiger Meilenstein geplant: WoMo fahren. Und ja, ich habs geschafft, auszuparken, ohne Schaden eineinhalb Stunden durch die Botsnik zu gurken, wieder einzuparken – und ja, das ist toll.

Noch viel viel toller, motivierender, aufbauender ist aber ein anderer Aspekt: ich kann ALLES, wenn ich es will! So groß (im wahrsten Sinne des Wortes) kann nichts sein, als dass ich es nicht beherrschen könnte. Und diese gelebte Erkenntnis gibt mir für heute einen Schub, der mich fliegen lässt. Zusammen mit dem was mir Richi gestern Abend gesagt, geraten und erzählt hat, könnte ich grad Bäume ausreißen – wenn ich noch welche hätte. ?

Ich weiß schon, das ist das Adrenalin und diese Euphorie vergeht wieder. Ja und? JETZT ist sie da! Nur das zählt im Moment. Trauerphasen werden nicht besser, wenn man die guten Zeiten ignoriert. Und Richi wird nicht wieder lebendig, wenn ich solche Momente nicht auskoste.

…und sonst…

Ab Drei haben dann unsbhänglig voneinander alle beschlossen nun ist es gut mit allein sein und Ruhe: Andrea, Brendy, Kim, Mani, Lucy, Gerhard, Gitti, Moritz, Mama… alle trudelten der Reihe nach ein. Die einen wollten Holz holen, die andere Kind oder Essen bringen. Oder plaudern.

Immer wieder unvorhergesehenes, immer wieder Neues, immer wieder schön – nur zum erzählen hab ich grad nix mehr. ?