Nebeltag (Tag 29)

Komischer Tag heute, bissi wie das Wetter draußen, nebelig, trüb, aber nicht wirklich greifbar, was das jetzt wird. Kein klarer “doofer” Tag, aber halt auch kein definitiv “guter”. Irgendwo so dazwischen. Ich arbeite weiter an meiner ToDo-Liste, erledige konzentriert meine Arbeit, aber alles mit Nebelschleier, gedämpft, traurig.

Nur ist es eben nicht diese schmerzhafte Trauer der letzten Tage, wo man am liebsten schreien würde, sondern eher still, aber dafür klebriger, anhaftender, nachhaltiger. Ich muss nicht weinen, mag aber auch nicht lachen. Irgendwie mag ich grad gar nix, nicht schreiben, nicht denken, nichts tun. Schlafen wäre schön, eingemummelt in die Decke, einfach vergessen, nicht denken müssen.

Ich will mein altes Leben zurück, mag mich nicht mehr durch die Tage kämpfen wie durch ein dickes, zähes Schlammloch, mag mich nicht mehr quälen. Mag auch die guten Tage nicht mehr, wenn ich dann doch jedesmal wieder runterfalle und von vorne beginnen muss. Ich mag nicht, dass es “besser” wird, “leichter”, “gewohnter”. Ich mag mich nicht daran gewöhnen ohne Richi zu leben.

Die Erinnerungen verschwimmen – und das gefällt mir nicht. Klar kann ich mich an viele schöne Erlebnisse erinnern, aber dieses klare Bild wie in den ersten Tagen, die ich mit einem Blick aufs Foto sofort heraufbeschwören konnte – sie werden verwaschener, verschwommener. Wenn ich jetzt das Bild anschaue, wo er auf der Terrasse steht, dann ist es ein Bild, eine Erinnerung – kein IST-Zustand. Ich mag das nicht. Es wird überdeckt durch 29 Tage Erfahrungen und Erlebnisse ohne ihn, durch Trauer, Gespräche, Alltag. Ich finde das furchtbar. Weil ich weiß, dass da tagtäglich noch viel mehr draufgepackt wird, bis es nur mehr eine schwache Erinnerung ist.

Jeder Tag bringt mich näher zu ihm – und entfernt mich gleichzeitig von unserem gemeinsamen Leben.
Man kann das vergleichen mit einem Urlaub – erst freut man sich riesig drauf, dann genießt man jede Minute, aber sobald man wieder daheim ist, die Wäsche gewaschen ist, die Arbeit wieder auf einen wartet, desto mehr verblassen die Erinnerungen daran. Anfangs kann man noch am Strandtuch riechen und katapultiert sich wieder ans Meer, nach kurzer Zeit sind es Fotos in einem Album, die man sich ansieht, vielleicht noch ein “Ah, war das schön, kannst dich erinnern?”

Mein “Urlaub” war zu kurz (wie jeder schöne Urlaub) und ist definitiv vorbei, er kann auch nicht wiederholt werden, weil es den Urlaubsort nicht mehr gibt. Es bleibt nur eine Erinnerung, ein paar Bilder und Geschichten. Ich finde das schrecklich, ich möchte das nicht – und kann doch nichts dagegen tun. Der Mensch tickt einfach so.

Der Tag quält sich weiter, quält mich weiter. ich kann es an nichts festmachen, eigentlich gibt es schöne Momente: Ich krieg eine liebe Mail aus Jesolo, telefoniere lange mit Susanne wegen des Autos, Lucy hat ihre erste Therapiestunde, wir fahren dann noch zum Interspar Essen kaufen und zum Obi die Farbe fürs neue Zimmer. Ich brauch nachmittags nicht im Geschäft sitzen, wo eh niemand kommt (wegen Corona?), es gäbe also einiges, an dem ich mich erfreuen könnte. Ich KANN aber nicht, heute ist mir alles zu viel. Ich mag nicht mehr, ich spüre nichts mehr. Der Nebel, die Trauer hüllen alles ein, aber nicht mehr sanft, sondern schmerzhaft und grausam. Weil ich ERKENNE, ich sollte mich grad freuen oder zumindest mit den Fortschritten zufrieden sein, aber da ist nichts in mir. Kein Gefühl, keine Emotion, nur dieses “ich will das alles nicht”.

Ich will nicht das Auto meines verstorbenen Mannes geschenkt bekommen, ich will nicht nochmal mit seiner Karte tanken dürfen, ich will meine Tochter nicht zur Trauertherapie bringen müssen, ich will weder das neue Zimmer noch irgendetwas anderes im Haus selber ausmalen und renovieren müssen, ich will nicht den Silvesterurlaub absagen müssen – ich will wieder Freude an meinem Geschäft haben, auch wenn mal niemand kommt und ich will Richi abends davon erzählen können…