Teelichtchen (Tag 22)
Heute ist ein guter Tag. Ich sitze nicht mehr stumpf im Geschäft herum, sondern habe begonnen, das Lager aufzuräumen und mich mit der längst fälligen Lagerverwaltung zu beschäftigen. Wir haben nämlich keine Ahnung, was da ist und wieviel davon. Ständig bin ich am Suchen.
Ordnung hat für mich mittlerweile einen sehr großen Stellenwert, gibt mir Halt und Struktur. Ich, die das Chaos liebt und ständig von einer Arbeit zur nächsten hüpft (so wie jetzt gerade – statt Wollknäuel zählen tipp ich hier rum). 😉
Klingt ohnehin paradox, wenn man sieht, wie das Haus gerade aussieht. Ich nenn das Erstverschlimmerung. Uns fehlt noch das Konzept, die logische Organisation, wir fangen hier was an, probieren dort weiter… Wird schon werden.
Ich möchte mein Leben und meinen Alltag vereinfachen – und dafür brauch ich Ordnung, muss eine Lebensinventur machen, schauen, was da ist, was ich brauche, was fehlt, was weg kann. Wie sonst soll ich mich in dieser neuen Welt zurechtfinden, meinen Platz einnehmen, wenn ich gar nicht weiß, was alles da ist.
Also sortiere ich, schlichte um, rücke zurecht – ob Wolle, Kleinkram daheim oder Gedanken, Einstellungen, Prinzipien, Gefühle – das Prinzip ist immer dasselbe. Fang an einer Stelle an, such dir ein einfaches System, nimm jedes „Ding“ in die Hand und entscheide, was damit geschieht.
Darf es bleiben, wo es ist? Bekommt es einen neuen Platz? Braucht es niemand mehr und kann verkauft, verschenkt, entsorgt werden?
Manches wird einfach weiterhin benötigt und verwendet.
Manches wird zur Erinnerung an ein anderes Leben, das muss nicht ständig im Blickfeld sein.
Manches hatte vorher schon keinen Wert mehr und war nur noch da, weil es niemand entsorgt hat.
All das wird dauern – aber wenn der erste Schritt getan ist, wird es mit jedem leichter und einfacher. Entscheidungen treffen ohne sich „abstimmen“ zu müssen – auch das eine neue Erfahrung. Ich entscheide für mich allein – niemand ist da mit Gegenargumenten oder Zustimmung. Wenn ich etwas beschließe, dann ist das so. Punkt.
Neben mir brennt, wie immer seit 3 Wochen, ein Teelicht. Ein kleines Lichtchen, das Trost spendet und Wärme gibt. Der Tee duftet in der Tasse, im Radio läuft leise Musik. Es stellt sich so etwas wie Wohlfühlgefühl ein, Frieden, immer durchzogen mit einem Hauch Traurigkeit.
Zum ersten Mal in diesen Tagen stellt sich so etwas wie Freude am Arbeiten ein, noch ungewohnt wie ein neuer Pulli, der noch nicht richtig sitzt. All diese alltäglichen Emotionen sind ungewohnt, neu, anders als früher. Und doch vertraut, irgendwie. So, als würde man zum ersten Mal seit Jahren wieder auf ein Fahrrad steigen – bisschen wackelig, zögernd, vorsichtig. Trägt das Gefühl? Fühlt es sich „richtig“ an? Darf ich so fühlen? Kann ich es noch?
Ja, ich darf, das weiß ich. Trotzdem. Man hat so seibe Vorstellungen, wie es sein wird, wie man sich fühlt, denkt, handelt – wenn so etwas passiert. Und doch – man kann sich nichts vorstellen, was man noch nicht erlebt hat. Das schafft das Gehirn nicht, es versucht aus Bekanntem ein Bild zu basteln, das Unbekannte ist nicht vorstellbar.
Ich werde es lernen, werde hinfallen, wieder aufstehen, manchmal auch eine zeitlang liegenbleiben, weil gerade die Kraft fehlt weiterzumachen. Es werden Tage kommen wo solche Erzählungen wie Hohn wirken werden und es werden Tage kommen, wo diese ersten Schrittchen nicht mehr sind als eine Bewegung des Zeigefingers – nicht weiter erwähnenswert. Tage kommen und Tage gehen – sie tun das, egal was in ihnen passiert.
Jeder einzelne bringt mich wieder näher zu dir – aber bis es soweit ist, werde ich mich zu beschäftigen wissen, werde leben. Für dich, mein Schatz! Mit dir! Ich liebe dich!
Es ist ein erster Schritt, einer von vielen ersten Schritten. Ein Lichtchen, ein Teelichtchen. Richis Teelichtchen.