Tag 50
Der Impuls zu diesem Beitrag erhielt ich am 8.11., da hab ich ihn auch geschrieben und egal, wann ich in den letzten 3 Tagen geschaut hab, ob ich ihn noch ergänzen kann, bemerkte ich, das er in der spontanen Erstfassung schon fertig war.
Ein Ende, ein Anfang, tausend Danke
Richis Zahl ist die 2, meine die 5 – was logisch erscheint, denn wenn man die 5 auf den Kopf stellt, ergibt sie eine 2 (offenbar hab ich sie immer verkehrtherum gesehen).
Seit Kurzem begegnet mir die 8 – liegend ist sie das Zeichen für Unendlichkeit. Meist in Kombination mit vielen Zweiern und Fünfern, damit ich weiß, das ich gemeint bin.
Eine neue Art der Kommunikation zwischen Richi und mir. Wenn Sprache, Mimik, Gestik nicht mehr zur Verfügung stehen, muss man halt kreativ werden.
Heute, an Tag 50 (<- mein Fünfer), am 11.11. 2020 (<- 1 als Gotteszahl; Summe von 11 = 2 also Richis Zahl, Quersumme von 1+1+1+1+2+0+2+0= 8…) ist es Zeit für einen neuen Schritt.
Ich durchtrenne in Liebe und ewiger Dankbarkeit das direkte Band zwischen mir (und meinen Gedanken) und der „Öffentlichkeit“. Hier enden die täglichen Haut-Nah-Berichte. ❤️
Es ist Zeit, dass mein Kopf und mein Herz wieder mir gehören. Und vor allem wird es Zeit, meinem Sicherheitsnetz, meinem Schutzzaun die Möglichkeit zu geben, wieder in ihr eigens Leben zurückzukehren. Mein Gefühl sagt mir, es ist nicht gut, wenn sie weiterhin so eng verknüpft sind mit meiner Lebensgeschichte, denn es ist nicht die ihre. Man kann kein unbeschwertes Leben leben, wenn man Tag für Tag mit der Nase in ein anderes geschubst wird.
Ich wünsche mir von Herzen, dass meine 5 (ach ja, fünf? Na so was) Top-Elite-Mädels wieder einen Schritt in ihre eigene normale Welt machen, lachen, leben, lieben… Ich möchte, dass sie dann an Richi denken, wenn es ihnen selbst einfällt und nicht, weil sie tagtäglich in meinen Strudel gesogen werden.
Es ist nicht das Band der Liebe, Dankbarkeit, Fürsorge und Gemeinschaft, das durchschnitten wird – es ist nur das Band zu meiner persönlichen, intimsten Trauer, das nun durchtrennt wird.
Man kann sich das vorstellen wie bei der Geburt – schmerzhaft wurde ich in ein neues Leben geboren, raus aus der schützenden perfekten Welt meiner Partnerschaft. Das tat weh, das war verwirrend, das war kalt und grausam. Und ich habe nicht drum gebeten, ich wollte gern bleiben wo ich war. Trotzdem musste die „Nabelschnur“ zu meinem früheren Leben durchschnitten werden, damit ich selbständig weiterleben konnte. In der ersten Zeit braucht ein Baby 24-Stunden-Betreuung ohne wenn und aber: Nahrung, Liebe, Geborgenheit, Vertrauen. All das habt ihr mir von Herzen gern gegeben. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo das Baby beweglicher wird, sich dreht, krabbelt, erste Schritte versucht, hinfällt, an der Hand wackelig dahintapst. Ihr wart meine Hand, die mich festhielt, auffing, wieder aufrichtete. Und dann lässt das Baby diese helfende Hand los um ohne Hilfe zu gehen.
Genau DA steh ich jetzt. Ich brauche weiterhin Hilfe, Trost, Geborgenheit, Vertrauen, ich werde noch hundertmal hinfallen, tausendmal weinen und millionenmal verzweifeln – aber mit jedem Schritt, den ich ohne „Halt“ gehe, werde ich sicherer.
Es werden neue Lerneinheiten kommen, wo ich wieder die volle Unterstützung brauche, bis ich es kann – und dann weiß ich, wo ich Halt finde. Und wie bei einem Baby nicht vorhersehbar ist, wann es krabbelt, steht, geht, spricht, Zähne bekommt oder sauber wird, genau so wenig ist vorhersehbar, wann ich einen Schritt weiterkomme und wie lange ich dafür brauche.
Ich werde weiterschreiben, für mich. Und vielleicht werde ich all das mal veröffentlichen, wer weiß schon, was morgen ist? Ich möchte auch (wenn mein A-Team sich das wünscht), einen Wochenbericht schreiben und veröffentlichen, um den Schnitt nicht so radikal durchzuführen. Es ist aber auch ok für mich, wenn „nur“ das gemeinsame Schreiben in der Gruppe bestehen bleibt und alle von sich erzählen, nicht nur ich.
Richi wird für immer unvergessen bleiben, meine Trauer wird mich für den Rest meines Lebens begleiten, sie gehört zu mir ebenso wie er. Ich werde noch sehr lange brauchen, um für mich sagen zu können, dass ich mein Leben neu eingerichtet habe und es lebenswert empfinde – aber der Großteils dieses Weges wird sich in mir abspielen und nach außen nicht sichtbar sein.
Redet von Richi, erzählt von ihm, erinnert euch an Begebenheiten, erzählt mir davon, lasst ihn lebendig bleiben in euch – das wünsch ich mir. Es ist ein Irrglaube, das man die Trauernde damit verletzt oder traurig macht, wenn man sie erinnert – da Richi immer in meinen Gedanken, in mir ist, ist ein Erinnern und Erzählen nicht schmerzhaft, sondern schön und bestätigend für mich. ❤️
Richi hat eine Lücke hinterlassen, die nicht zu füllen ist, nicht mit all meinen Tränen und nicht mit all meiner Liebe. Das ist aber in Ordnung, es ist wie es ist.
Das tägliche Auf und Ab ist für mich extrem belastend und aufreibend, wie schlimm muss das erst für Außenstehende sein, die mehr oder weniger hilflos danebenstehen und nicht wissen, was in den nächsten Minuten passiert. Und mit genau diesem Auf und ab möchte ich einfach niemanden mehr hautnah belasten. Es macht keinen Unterschied zu WISSEN, das sich diese Hochschaubahnfahrt auch in den nächsten Monaten nicht ändern wird oder ungewollt mitfahren zu müssen. Naja, vielleicht macht es doch einen. Zuschauen ist vielleicht nicht so beängstigend. Aber um bei dem Beispiel zu bleiben: selbst wenn meine Helferlein weiter mitfahren, sitzen sie doch imner ein Wagerl hinter mir – seh ich schon die Spitze, geht es für sie grad berauf, beginne ich zu fallen, erreichen sie den Höhepunkt der Bahn. Andere wären vielleicht gern schon ausgestiegen, anstatt noch eine Runde dranzuhängen.
Ich bin nicht die Einzige, die trauert – aber mit den täglichen Berichten nehm ich allen die Möglichkeit, ihren eigenen Weg der Trauer zu gehen und wieder in ihr Leben zurückzufinden, weil ich sie mit den Einblicken an mich fessle und mich in den Vordergrund stelle.
Und so sage ich danke. DANKE für jede Hand, die mir gereicht wurde, DANKE für jedes Wort, jeden Trost, jede Hilfe. DANKE für jede Träne, jedes Lächeln, jede gemeinsame Erinnerung. DANKE für jeden Zweifel, jede Angst, jede Unsicherheit. DANKE für jedes praktische Anpacken, jede erledigte Arbeit, jedes ausgefüllte Formular. DANKE fürs Zuhören, Mitleiden, Aushalten meines Schmerzes. Danke Mama, Susie, Kathi, Andrea, Gitti. Danke Gerhard, Peter, Albert, Papa. Danke all denen, die in der zweiten, dritten und vierten Reihe standen und die mitstürzten, festhielten und übernahmen, wenn die Front eine Pause brauchte.
Ich liebe euch über alles! ❤️