Kopf, Herz, Bauch (Tag 47)

Verstand, Liebe, Intuition…

Denken, fühlen, glauben…

Körper, Geist und Seele…

…diese drei bestimmen zur Zeit mein ganzes Leben. Vielleicht tun sie das immer und man merkt es nur nicht so im Alltagstrubel, weil da meist der Kopf das Kommando hat.

Bei mir haben Herz und Intuition übernommen, weil es für mich wichtiger wurde zu fühlen als zu denken. Dass heißt aber nicht, dass sich der Kopf nicht immer wieder einmischt.

So hatte ich zum Beispiel heute Morgen die starke Intuition den Beitrag für Tag 50 zu beginnen – und eigentlich wollte ich ihn auch direkt veröffentlichen. Diesmal hat sich der Kopf aber durchgesetzt: Tag 50 kommt am Mittwoch dran, Ordnung muss sein. 😉 Der Verstand lieferte die passenden Fakten zur Argumentation. Ok, überzeugt.

Um zu überleben braucht man alle drei (sonst hätten wir sie nicht), die Kunst liegt darin zu wissen, wann was benötigt wird. Ich beherrsche sie nicht gut, aber ich übe täglich und manchmal gelingt es mir schon ganz gut, sie in Einklang zu bringen.


So zum Beispiel gestern Abend, wo sich wieder das Gedankenkarrussell in Bewegung setzte.

Kopf: „Richi ist tot, kommt nie wieder, begreif das endlich.“

Herz: „Nein, das kann nicht sein. Er ist hier. Du kannst ihn nur nicht sehen.“

Kopf: Ich kann ihn auch nicht hören, nicht spüren, nicht schmecken oder riechen – keiner der 5 Sinne kann ihn wahrnehmen.

Herz: Dafür gibt es ja einen 6. Sinn. Frag den Bauch, der ist dafür zuständig.

Bauch: Das stimmt, ich kann ihn fühlen, seine unendliche Liebe begleitet uns. Ihr braucht nur auf die Zeichen achten.

Kopf: Zeichen? Das sind Zufälle, sonst nichts.

Bauch: Genau, Dinge die uns ZUFALLEN, damit wir sie sehen können. Oder hören. Oder riechen. Damit auch du, lieber Kopf, glauben kannst.

Kopf: Aber es ist nun mal eine Tatsache, das er weg ist und nie wieder kommt. Nie mehr. Schau hinüber zu seiner Urne, da ist der Körper dieses Menschen drin. Wieviele Beweise brauchst du?

Herz: Gar keine, ich WEISS, das er da ist. Dafür brauch ich keine Sinne, die mir das bestätigen, dafür reicht meine Liebe aus.

Bauch: Ehe ihr nun streitet – ihr habt beide recht. Ja, Richi ist tot und sein menschlicher Körper nur mehr Asche. Den kann man nicht mehr sehen, hören, riechen, schmecken oder angreifen. Kein liebevoller Blick mehr, keine Berührung seiner Hände, kein „ich liebe dich“ aus seinem Mund mehr. ABER – er ist nicht weg! ER, das was ihn ausmachte, ist da, nur umgezogen – von der Erde ins Herz. Und deshalb bist du, liebes Herz, davon überzeugt, dass er gar nicht tot sein kann. Weil er nun in dir lebt, näher als je zuvor. Und du, mein lieber Kopf, beschäftigst dich seit Wochen 24 Stunden täglich mit Richi und den Veränderungen für „uns“. Wäre es so, dass tot gleichbedeutend ist mit weg, nicht existent, unwichtig – würdest du längst über etwas anderes nachdenken.


Ich fange an zu begreifen, dass unsere Welt, unser Leben nicht immer aus entweden-oder besteht, sondern es ganz viele „sowohl als auch“ existieren.

Richi kann gestorben sein und trotzdem in mir leben.

Ich kann in alle Ewigkeit trauern um ihn und unser gemeinsames Leben und trotzdem mein neues Leben annehmen und genießen.

Ich kann gleichzeitig weinen und lachen.

Ich kann frustriert, überfordert und wütend sein und trotzdem wissen, das es richtig ist, was ich tue.

Ich kann überzeugt sein, dass alles seine Richtigkeit hat und von uns auf höherer Ebene gemeinsam beschlossen war – und trotzdem mit meinem Schicksal hadern und es als falsch und unfair empfinden.

Etwas Trauriges kann schön, etwas Unaushaltbares gut sein. Etwas Banales kann unüberwindbar, etwas Unfassbares bewältigbar sein.

Alles ist möglich, selbst das Unmögliche.

Unsere Begriffe der deutschen Sprache für Superlative, die nicht in unseren Kopf reinpassen, bezeichnen ja nur die Negierung der Sinne: unBEGREIFlich, unFASSbar, unSICHTbar, unHÖRbar… UnFÜHLbar gibt es nicht – weil fühlen immer geht.

Aber fühlen lässt sich nicht beschreiben mit Worten, daher fällt es mir immer schwerer zu erklären, wie ich mich fühle. Begriffe wie gut, schlecht, beschissen, euphorisch, traurig oder fröhlich sind zu allgemein, zu pauschal. Sie spiegeln die Facetten nicht wider, dieses bunte Mosaik in mir, in dem viele Splitter schwarz sind.

Ich fühle mich gleichzeitig.

Ja, das trifft es. Ganz oft sind mindestens zwei Gefühle zur gleichen Zeit da. Einsam geborgen. Tröstlich traurig. Geliebt alleine. Mutig verzweifelt.

Nicht übereinander gelegt, sondern ineinander verschlungen. Sie werden eins. Verschmelzen zu einem neuen Gefühl.

Der Tag

Mit mir ist heute nichts anzufangen. Brendy kommt zu Besuch, wir plaudern ein bisschen. Dies und das. Ich bin müde, mir ist kalt. Keine Motivation für weitere Wochenendarbeiten. Ich mag nicht lesen, stricken, malen oder aufräumen. Lucys Zimmer muss zerlegt werden – keine Lust. Brennende Augen.

Schlafen. Weg sein. Kopf ausschalten. Nicht denken. Nicht fühlen. Nichts tun. Aushalten. Warten, dass es vorübergeht. Was? Alles. Ich mag nicht mehr. Nichts mehr. Am wenigsten mich selbst.

Der Tag geht weiter bergab, Gerhard kann nicht mit zum Notar, weil die Familie in Quarantäne „darf“. Also wieder etwas, was ich allein schaffen muss. Na auch egal, kann ja nicht so schwer sein.

Ich müsste den Fall melden, hab aber keine Lust darauf auch noch den Shop schließen zu müssen. Und nicht mal raus zu dürfen, einkaufen zu fahren oder etwas zu erledigen.

Lucy „beschwert“ sich, dass ich nur mehr traurig und gereizt bin und gar nie mehr fröhlich, dass ich das Geschäft hab und sie alleine ist, das wir abends nichts gemeinsam machen. Alles richtig – mir fällt nur keine Lösung ein, die für beide akzeptabel ist.

Ich breche in Tränen aus bei der Überlegung ob Weihnachtsdeko (weil Richi so geliebt hat) oder keine (weil keiner mehr heimkommt und sich darüber freut). Mir fällt ein, dass ich keine Stauden mehr hab für die Außenbeleuchtung und will…

…meinen Garten zurück…

…mein Leben zurück…

…meinen Mann zurück..

Für heute fehlt mir die Kraft, den Absturz aufzuhalten oder wenigstens abzufedern. Also fangen wir morgen wieder von ganz unten an. Oder ich bleib einfach liegen.

Und da ich mir dieses Drama weder morgen noch in 2 Jahren (beim Nachlesen) noch weiter antun möchte, beende ich den heutigen Tag.