Trümmerfrau (Tag 21)

Ich habe keine Ahnung, wie sich diese Frauen fühlten, aber den Begriff empfinde ich als stimmig für mich.

Mein Leben wurde mit einem Hammerschlag zertrümmert, in so viele kleine Stücke, dass kaum etwas heil geblieben ist.

Weg. Aus. Gibt es nicht mehr.

Jeder hat so eine Vorstellung seines Lebens. Arbeit, Privatleben, Kinder, nahe und ferne Zukunft, Urlaube, Renovierungen, Feste, Rituale – all das mit dem Lieblingsmenschen an seiner Seite. Ein Alternativprogramm gibt es nicht, vielleicht mal kleine Abweichungen, weil etwas nicht so klappt wie gedacht. Aber meistens alles in geordneten Bahnen.

Und plötzlich, ohne Vorwarnung, ohne Alarmsirene ist NICHTS mehr davon da, nur Scherben und Fragmente. Das kann nicht mehr geklebt werden.

Nach dem ersten Schock gehst du durch den Trümmerhaufen, der einmal dein Zuhause, dein Rückzugsort, dein Nest war und schaust dich um. Ziehst hier ein Bild heraus, hebst da eine Lieblingstasse auf, die überlebt hat. Hältst dich fest an diesen Kleinigkeiten.

Du weißt, du musst anfangen aufzuräumen, Ordnung zu schaffen, heil Gebliebenes sichern und schützen, loslassen, was endgültig kaputt ist und von vorne beginnen. Nicht bei Null, sondern bei Minus 100000000. Aber du weißt nicht, wo! Das Trümmerfeld ist zu groß, zu unüberschaubar. Du ziehst an einem Kabel, das heraus lugt aus dem Schuttberg. Und bringst damit eine kleine Lawine ins Rollen, weil das Kabel an anderen Kabeln hängt, mit Wandstücken verschmolzen ist, sich verhakt. Alles ist miteinander verbunden und die Anstrengung, diese Verbindungen aufzudröseln ist einfach zu groß. Also lässt du das Kabel erstmal liegen, versuchst es an einer anderen Stelle. Vielleicht ist es hier leichter.

Du stapelst Ziegel auf, die du relativ leicht aus den Trümmern ziehen konntest, wertlose Einzelstücke, unwichtig.

Dabei wünscht du dir die ganze Zeit, ein Wunder möge geschehen und das Haus würde unvermutet wieder stehen, wieder ganz sein. Denn gerade jetzt brauchst du einen Rückzugsort, ein sicheres, geschütztes Nest. Und das gibt es nicht mehr, wird es nie wieder geben.

Denn das ist die Crux des Ganzen: diesen Schmerz kann nur einer nehmen, diese Trauer kann nur einer trösten – es ist der, der ihn verursacht hat. Und der, der nicht mehr da ist. Und auch nie mehr wieder zurückkommen wird.

Ja, irgendwann werden die Trümmer weggeräumt sein, wird an der Stelle wieder ein Häuschen stehen, nicht so prachtvoll und heimelig, aber zweckmässig und schützend. Doch die Wärme darin wird für immer fehlen, das unbeschwerte Lachen, die glückseligen Momente, die Pläne, Träume, Ziele, Wünsche. Weil immer im Hinterkopf die Leuchtreklame blinken wird: „Wie wäre es mit dir an meiner Seite gewesen?“

Oder, um es anders zu formulieren: ja, man überlebt auch wenn das Essen ungesalzen und ohne Gewürze ist – es schmeckt halt nur nicht mehr.

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