Dann mach ich den Scheiß halt allein (Teil 2)

Am 11.10.2020 war der Bericht mit eben diesem Titel der erste (öffentliche) Beitrag hier. Am 8.1.2021 schrieb ich den letzten öffentlichen.

Heute, 6 Monate, nachdem mein Engel diesen Planeten verlassen hat, um wo auch immer seine seichten Witze zu verbreiten, sitze ich wieder hier. Mir war nicht mehr danach, mein Seelenleben öffentlich auszubreiten. Ich brauchte die Zeit für mich um mich und mein Leben zu sortieren.

Warum heute? Weil es sich richtig anfühlt. Und ich nur mehr Dinge tue, die sich FÜR MICH richtig anfühlen. Ob sie jemand anderem gefallen ist mir ziemlich egal. Ich habe gelernt, dass es nur wichtig ist, wie es mir geht und was ich für mich tun kann. Denn nur so bin ich in der Kraft, auch für andere da zu sein.

Du entscheidest wie ein Tag wird

Nein? Stimmt nicht? Weil es so vieles gibt, das du nicht beeinflussen kannst? Stimmt – trotzdem hast du – und nur du – die Möglichkeit, deine Einstellung dazu festzulegen.

Beispiel Wetter: Der gleiche Schnee, der vor 2 Monaten Entzücken hervorrief, kotzt jetzt jeden an. Warum? Weil der Papierkalender sagt, er dürfe nicht mehr fallen? Weils schon zu lange kalt ist? Es ist aber immer noch das gleiche Wettergeschehen.

In dem Moment, wo ich aber einfach annehme, was heute gerade ist (wenn es denn nicht in meiner Macht liegt, es zu ändern), ist es einfach nur mehr Schnee. Weiße, sanfte Flocken, die die Erde still werden lassen.

Mit meinem „Schicksal“ verhält es sich nicht anders: ich kann damit hadern, mich als hilfloses Opfer fühlen und Gott und die Welt verfluchen. Ändern tut das gar nix – die Tatsachen lassen sich nicht wegfluchen. Auch nicht wegweinen oder wegtrauern. Es ist wie es ist.

Ich habs versucht, ehrlich, aber es gibt keinen Pokal, nicht mal einen Trostpreis für intensives Trauern. Richi kommt deswegen nicht zurück. Auch dann nicht, wenn ich lache und weiterlebe. Gar nicht – es ist völlig wurscht, was ich tue oder nicht tue. Das Maß der Trauer ist nicht mal Maßstab für die empfundene Liebe – auch wenn es gern so gesehen wird.

„Die trauert aber nicht lang, so groß kann die Liebe nicht gewesen sein.“ – So ein Schwachsinn. Als würde ich versuchen einen Kilo Mehl im Metermaß anzugeben. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Daher habe ich auch heute beschlossen, dass es ein „guter“ Tag werden darf, ich möchte heute nicht in sentimentaler Emotionalität versinken. Ja, 6 Monate sind eine lange Zeit – und ein Wimpernschlag.
Es passierte gestern und vor Millionen Jahren – gleichzeitig.
Richi ist für immer weg – und für immer da. Gleichzeitig.
Ich bin unendlich traurig und genieße jeden Moment meines Lebens. Gleichzeitig.

Gehts dir (noch) gut?

Ja, vor 6 Monaten ging es mir auch „gut“. An diesem Tag war ich nämlich überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hat, dass es so sein soll, wie es war. Man könnte jetzt sagen, ich stand unter Schock – oder, das ich getragen war von dem inneren Wissen ob dieser Aufgabe, die mir bevorstand.

Heute ist es ebenso – ich fühl mich getragen und voller „Wissen“. Oftmals kann ich dieses zwar nicht in Worte fassen, weil es einfach keine gibt. Die Menschen verdrängen den Tod zu gerne, als dass sie sich Wörter für innere Gefühlszustände ausgedacht hätten. Ich weiß was ich weiß, und ich kann gut damit leben. Ich durfte für einen kurzen Moment hinter den Schleier der Illusion „Leben“ werfen. Das ist nicht in Worte zu fassen, aber ich bin sehr dankbar dafür.

Es lebt sich nämlich leichter, weil vieles nicht mehr wichtig ist. Es macht gelassener, ruhiger und gleichzeitig munterer. Alles, was ich tue, mache ich bewusst. ICH entscheide, was ich wie machen möchte und dann mach ich es. Weil es für den Moment richtig erscheint. Stellt sich später heraus, dass es nicht so klug war – nun gut, dann ändere ich es vielleicht wieder. Nichts ist in Stein gemeißelt – und selbst wenn, auch Steine verwittern irgendwann.

Ich mache Pläne, träume von Zielen – durchaus. Es stört mich aber auch nicht, wenn sie sich währenddessen ändern oder ganz wegfallen. Weil es nicht wichtig ist. Ich fixiere mich nicht mehr auf das Endergebnis, sondern auf das Erleben während ich Richtung Ziel gehe.

Renovierungen

Ich habe in den letzten Monaten viel im Haus und (noch mehr) im Garten umgebaut und verändert. Das mag von außen betrachtet merkwürdig aussehen, bildet aber bloß mein (Innen)Leben ab. Von einer Sekunde auf die andere blieb von meinem bisherigen Leben nur mehr ein Schutthaufen übrig (siehe auch “ Trümmerfrau „) und es lag an mir daraus wieder etwas aufzubauen, um weiterleben zu können. Ich konnte nicht einfach mit dem weitermachen, was jahrelang um mich war. Es hatte jeden Wert verloren. Ich tastete mich langsam voran, nichts von diesen Arbeiten war ich gewohnt oder hatte sie je gemacht. Mir war nur von Anfang an klar: ich will es alleine können.

Wenn ich unsicher war, fragte ich Leute, die es konnten – und machte es dann alleine. Wenn etwas zu schwer war (oder ich zu faul und bequem) holte ich mir Unterstützung.

Immer hatte ich dabei das Bild vor Augen wie es fertig aussehen sollte. Und dabei ging ich erstmals in meinem Leben nur nach meinen Vorlieben und Wünschen. Keine Kompromisse. Ich muss seit 6 Monaten alle Entscheidungen alleine treffen und dazu stehen – also nutze ich diesen Umstand auch, dass ich meine Entscheidungen alleine treffen darf.

Irgendwann nahm ich auch größere Projekte in Angriff, wenn schon das ganze Leben neu erschaffen, dann ordentlich. Bewusst sah ich mir eingefahrene Sichtweisen an und brach sie auf. Warum sollte ich etwas so machen wie „wir es immer gemacht hatten“, wenn es kein WIR und kein IMMER mehr gab? Ich stellte erstmal alle Glaubensmuster völlig auf den Kopf, schüttelte sie durch und schaute dann, was dabei herauskommen kann. Gefiel es mir, setzte ich es um. Gefiel es mir nicht, schüttelte ich erneut.

Ich habe das Glück, mir Renovierungen und auch größere Umwandlungen momentan leisten zu können. Und da ich nicht weiß, ob ich morgen noch lebe, setze ich sie halt heute um. Ja, ich mach den Scheiß allein – und ich bin stolz darauf.

Und was ist mit Richi?

Er ist da, 24/7, immer an meiner Seite. Es wird bis zu meinem Lebensende keine Sekunde vergehen, in dem er nicht in meinen Gedanken weiterlebt. Trotzdem darf ich mein Leben so gestalten, wie ich das für richtig halte. Ob er mit allen Entscheidungen einverstanden gewesen wäre? Ich weiß es nicht, wahrscheinlich nicht. Weil er eher immer vorsichtig (und bequem) war, wenn es um Neuerungen ging. Bloß nix verändern, besser alles lassen wie es ist.

Einer seiner Lieblingssätze „Never change a running system“. (sein 2. englischer Satz war „Never fuck the crew“, aber das ist eine andere Story *grins*)
Er übersah dabei halt nur manchmal, dass auch Veränderungen Verbesserungen sein können. Dass man im Ausharren eines Zustands auf vieles verzichten muss, weil das System zwar läuft, aber viele Features nicht vorhanden sind.

Sein Weg war zu Ende, er war fertig – meiner nicht. Sonst wär ich nicht mehr hier. Also muss ICH weitermachen und ich mach es so gut ich kann. Vielleicht hätte er es besser gekonnt – aber dann hätte er halt hierbleiben müssen. Ich kann mich nicht immer darauf ausreden, was Richi getan oder gesagt hätte. Er tut und sagt nix mehr. Nie mehr.

Er fehlt mir, natürlich. Ich vermisse ihn und ich weine auch oft um unsere gemeinsame Zukunft. Aber es ist nicht mehr das Holzhammergefühl vom Anfang, es sich viele kleine Nadelstiche, die mich immer wieder aus dem Tag reißen.

Insiderwitze zum Beispiele – Dinge, über die nur wir zwei wegen eines gemeinsamen Erlebnisses lachen konnten. Nun seh ich etwas, was ich ihm unbedingt zeigen/erzählen möchte, weil wir dann gemeinsam drüber lachen können – nur ist er nicht da, um es ihm zu zeigen. DAS schmerzt. Das ist etwas, was ich grade lerne, damit umzugehen und einen Mechanismus zu finden, wie ich den Schmerz abschwächen kann.

Mechanismen

Ich habe schon einige gefunden, die mir das Leben erleichtern. Räuchern, umräumen, sortieren, renovieren… Aber auch „annehmen was ist“ und das zulassen, nicht wegdrängen. Wenn ich traurig bin, dann ist das halt grad so. Ohne in Selbstmitleid abzurutschen darf dieses Gefühl ebenso sein wie Freude. Wenn ich fröhlich bin, ist das auch so – ohne schlechtes Gewissen. Alles ist gleich-gültig, hat seine Berechtigung und darf sein. Es ist wie es ist.

Und sonst so?

Trauer ist kein Prozess, den man abschließt und nach erfolgreich absolvierter Prüfung zur Tagesordnung übergeht, wie bei einer Coronatestung ist der heutige Bericht eine Momentaufnahme, die morgen schon wieder anders sein kann (was sie nicht sein wird, solang ich es verhindern kann). Trauer wird mich bis zum Schluß begleiten, weil etwas – jemand – unwiederbringlich verloren ist. Weil es Dinge gibt, die man nicht ändern oder rückgängig machen kann. Nur die Einstellung dazu kann ich ändern, ob ich mich in ihr verliere oder als Teil von mir annehme, der zu mir gehört wie meine große Nase.

Ich habe gelernt, bewusster zu leben, auch Kleinigkeiten zu genießen, mein Erleben an die jeweilige Ist-Situation anzupassen und im Heute zu leben.
Ich habe gelernt, den Tod als die einzige Sicherheit im Leben zu akzeptieren, ich habe keine Angst mehr vor ihm.
Ich habe gelernt mit dem zu arbeiten, was da ist und die schon bestehende Fülle um mich herum zu erkennen. Und ich bin dankbar dafür.
Ich habe gelernt, Dinge und mich nicht so wichtig zu nehmen – ICH bin das Wichtigste.
Ich habe gelernt, stolz auf jeden meiner Schritte zu sein und zu meinen Entscheidungen zu stehen, auch wenn jemand anderer Meinung ist.
Ich habe gelernt, alleine zu leben (zum ersten Mal in meinem Leben) und aus meinem Lebenskonzept „Familie, Kinder, Liebe, Gemütlichkeit“ ein neues zu kreieren, welches „Eigenverantwortung, Singleleben, Freiheit“ beinhaltet.
Ich habe gelernt mit meinem Mann zu leben obwohl ich ihn weder sehen, hören noch berühren kann. Dafür redet er nicht zurück und ich brauch mich nicht über ihn zu ärgern. 😉
Und ich habe gelernt, wie wichtig es sein kann, wenn man rechtzeitig bekannt gibt, wie man sich seinen eigenen Abschied von der Erde vorstellt – sonst stehen die Zurückbleibenden mit nix da (Oder, um es mit Richis Worten zu sagen: Dann steh ma da mit ana waachn Nudl…).
Also:

Wenn ich mal hier fertig bin auf diesem Planeten, äschert mich ein, vermischt einen teil meiner Asche mit Richis und streut uns ins Meer – wo wir auf ewig miteinander verbunden sind. Den Rest beerdigt in einem Friedwald unter einer Fichte.

Feiert eine Abschiedsparty, die wir dann bis hinauf zu unserem Wölkchen hören, spielt „Tränen trocknen schnell“ von Fendrich und „I would do anything or love“ von MeatLoaf und genießt euer Leben weiter, solange es dauert.

Es gibt ein Lied von seiner Lieblings-Volksmusikgruppe, mit dem ich heute schließen möchte:

Ob es für mich je wieder Glück geben wird? ich weiß es nicht. Glück ist eine Momentaufnahme, Zufriedenheit ein Zustand. Ich bin zufrieden, das genügt vorerst.